Auch bei einer deutlich verbesserten Situation auf dem Arbeitsmarkt fällt es vielen vom Jobcenter MainArbeit betreuten Arbeitsuchenden schwer, einen Arbeitsplatz zu finden und den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien durch Erwerbseinkommen zu sichern. Fehlende Sprachkenntnisse und Qualifikationen, aber auch Probleme in der Familie, im sozialen Umfeld und im persönlichen Bereich stehen einer schnellen Integration in Arbeit oft im Wege. Die Beraterinnen und Berater im Jobcenter brauchen deshalb oft viel Geduld und einen langen Atem bei der Entwicklung von passgenauen Problemlösungen und Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt.
Um dafür neue Konzepte zu entwickeln und praktisch zu erproben, hat die MainArbeit Mittel aus einem Programm der Europäischen Union zur Förderung sozialer Innovationen eingeworben. Es geht dabei um die Entwicklung ganzheitlicher Betreuung und die Verbesserung der Zusammenarbeit von Behörden und Trägern. Die MainArbeit hat sich dafür mit einem Konsortium von insgesamt sechs Verwaltungen und sozialen Trägern in Ungarn und der Slowakei zusammengetan. Darunter sind die Sozialverwaltung des siebten Bezirks der Stadt Budapest, die Arbeitsverwaltung der Slowakei, gemeinnützige Organisationen und ein wissenschaftliches Institut.
Die Bewerbung um die EU-Mittel war erfolgreich. Das Projekt wurde als eines von europaweit nur neun zur Förderung ausgewählt. Projektstart war Anfang 2022. Für 2 ½ Jahre stehen den Partnern rund 1,1 Millionen an europäischen Fördermitteln zur Verfügung.
CRIS, der Name des Konsortiums, ist dabei Programm. Er steht für „Cooperate, Reach Out, Integrate Services“, also Kooperation, aufsuchende Beratung und Zusammenarbeit von Diensten, etwa Arbeitsmarktdienstleistungen, Sozialbehörden, Wohnungsämtern und privaten Sozialorganisationen.
Im Auftrag der MainArbeit leitet Matthias Schulze-Böing dieses Konsortium und kann dabei seine langjährigen Erfahrungen mit internationalen Projekten und sein gutes Standing auf dem Brüsseler Parkett als ehemaliger Geschäftsführer der MainArbeit nutzen. Für die Europäische Union war auch wichtig, mit dem Projekt dazu beizutragen, Erfahrungen und Know-How aus dem international als beispielhaft geltenden deutschen Jobcenter-System zu nutzen und Impulse für den Aufbau entsprechender Angebote in anderen Ländern zu geben.
In Offenbach nutzt man die Projektmittel, um türkischsprachige bulgarische Familien im Leistungsbezug intensiver zu betreuen. Bei diesen Familien kommen neben Arbeitslosigkeit oder Jobs mit nur sehr niedrigem Einkommen oft weitere Probleme hinzu. Etwa Wohnungslosigkeit, gesundheitliche Schwierigkeiten und Herausforderungen mit dem Schulbesuch der Kinder. Oft hindern diese Probleme bei der Arbeitssuche, so dass ein Teufelskreis entsteht, aus dem die Familien aus eigener Kraft nicht hinausfinden. Bei der MainArbeit konnte dank der Förderung mit Serdan Damar ein zusätzlicher Fallmanager mit besonderen Sprachkenntnissen eingesetzt werden, der mit den Familien Problemlösungen erarbeitet. Ziel ist, diese Beratungsform so weit zu entwickeln, dass sie nach Abschluss des Projektes in den Regelbetrieb des Jobcenters übernommen werden kann. Das ist durchaus herausfordernd, denn es müssen dabei Wege gefunden werden, wie man den zeitweise notwendigen personellen Mehraufwand mit den vorhandenen Ressourcen der MainArbeit in Einklang bringt. „Die Identifikation der Familien mit besonderem Betreuungsbedarf und die Befähigung der Familien zu selbstständigen Problemlösungen sind dabei besonders wichtig. Wir wollen keine Betreuungsinseln auf Dauer schaffen, sondern eigenverantwortliches Handeln fördern“, erläutert Régine Bozon, Leiterin des Offenbacher Projekts.
Vor kurzem waren die Expertinnen und Experten aus Ungarn und der Slowakei zu einem zweitägigen Studienbesuch bei der MainArbeit. Geschäftsführerin Susanne Pfau erläuterte die rechtlichen Grundlagen und die Arbeitsweise des Jobcenters. Fachkräfte erklärten die Beratungsmethoden und Kooperation zwischen den verschiedenen Abteilungen des Jobcenters, mit anderen Behörden und beauftragten Trägern. Besonders beeindruckt zeigten sich die Gäste aus Osteuropa von den strukturierten Abläufen und dem umfassenden Einsatz von digitalen Instrumenten. Dass ein Jobcenter auch ein lebendiger Teil der Stadtentwicklung sein kann, konnte die Delegation bei einem Besuch des Stadtteilbüros Nordend am Goetheplatz erfahren, wo Quartiersmanager Marcus Schenk die Zusammenarbeit von Quartiersmanagement und MainArbeit und die sozialen Angebote des Quartiersbüros vorstellte.
„Offenbach scheint eine sehr gut vernetzte Stadt zu sein, wo die Zusammenarbeit der verschiedensten Akteure funktioniert und eine langfristige Strategie für gute Rahmenbedingungen sorgt. Das ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für effektive und effiziente Sozialpolitik,“ resümierte Zuzana Polackova, Forscherin an der Slowakischen Akademie der Wissenschaften ihre Eindrücke. Beim Aufbau lokaler Netzwerke gebe es in der Slowakei noch viel Spielraum zur Verbesserung. Es fehle manchmal an gegenseitigem Vertrauen und Berechenbarkeit. Da könne man einiges von Offenbach lernen. MainArbeit-Geschäftsführerin Pfau sieht aber auch bei der MainArbeit einen Gewinn in der transnationalen Kooperation: „Der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland zwingt uns, unsere eigene Praxis immer wieder neu zu durchdenken. Auch wir bekommen dadurch neue Anregungen. So haben die Partner in Ungarn und der Slowakei noch viel breitere Erfahrungen in der Arbeit mit Minderheiten wie den Sinti und Roma. Davon können wir profitieren.“
Der für die MainArbeit zuständige Dezernent Martin Wilhelm freut sich über den Austausch und den damit verbundenen Blick über den eigenen Tellerrand: „Das CRIS-Projekt und das Treffen in Offenbach war wichtig. Wir müssen benachteiligte Gruppen stärken und nachhaltig integrieren. Der Ansatz, die Dienstleistungs-Nutzer als aktiven Teil zu sehen ist wertvoll und bringt uns weiter.“