Foto: Bahnexperte Martin Bläß gibt an einem selbst erstellten Modell Erläuterungen zum Mühlheimer Bahnhofgebäude.

Von Ingeborg Fischer

Es gibt im Kreis Offenbach viele Bahnhöfe, manche zweckentfremdet oder zu Gaststätten umgewandelt, andere sehr ausbesserungsbedürftig. Doch so gut erhalten wie der Mühlheimer Bahnhof mit seiner einmaligen Konstruktion und mit wenig veränderten Grundformen findet man selten einen. „Es gibt keinen Zweifel, dass diese Bahnverkehrseinrichtung außergewöhnlich ist und zu den interessantesten rundum gehört“, betont Bahnbeschäftigter Martin Bläß, zu dessen Heimatdienststellen neben dem Offenbacher auch der Bahnhof in Mühlheim zählt. Der Geschichtsverein hatte den Bahnexperten zu einem ErzählCafé eingeladen, weil das Gebäude 150 Jahre alt wurde und auf eine wechselvolle Geschichte zurückblicken kann.

Bei seiner Rückschau auf die Eisenbahnentwicklung erzählte Bläß, dass die Preußen planten, von Kassel aus eine Anbindung nach Hanau zu bauen. Das führte dazu, dass Frankfurt mit seinen Kopfbahnhöfen selbst eine Verbindung nach Hanau über Mühlheim und Steinheim einrichtete, die später auch nach Aschaffenburg weitergeführt wurde. Also musste neben der zweigleisigen Streckenführung auch in Mühlheim ein Bahnhof her.

Innerhalb von drei Jahren wurde er gebaut und 1873 fertiggestellt. Das lockte Industrie und Handwerk an, wie zum Beispiel den Ingenieur Carl Friedrich Leonhardt, der in Verbindung mit den kommunalen Verantwortlichen die Farbwerke Mühlheim in der Nähe des Mains ansiedelte. Im heimischen Sprachgebrauch hieß sie auch „die Chemisch“. Die Straße vom Bahnhof dorthin wurde Bahnhofstraße genannt. Heute ist das die Ludwigstraße.

Die Konsequenz der weiteren Ansiedlungen war, dass Wege ausgebessert und Straßen gepflastert werden mussten. Über die Rodau wurde eine neue Brücke geschlagen und Backsteinhäuser wurden gebaut. Auch südlich der Bahngleise ließen sich Firmen nieder, wie die Gummi-Werke, Stahl-Schanz, später die Lederfabrik Mayer und Sohn und die Firma Dienes oder Offenbacher Schraubenfabrik. Die Folge war, dass die Bahnlinie und die Ansiedlung neuer Betriebe die Einwohnerzahl Mühlheims von 8000 auf 14 000 Einwohner anwachsen ließ. Die neuen Betriebe hatten nicht nur Arbeitsplätze geschaffen, sondern die finanzielle Situation und die Infrastruktur der Stadt verbessert. Sogar eine Apotheke siedelte sich an.

Die Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1932 beendete die Konjunkturblüte im Land. Ab 1933 überwachte und bestimmte fortan die NSDAP das gesamte politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben. Die Nachkriegszeit hatte wesentlich mit dem Wiederaufbau zu tun, aber die gesamte Stadt war durch den Schienenweg in zwei Teile geteilt. Es gab damals zwölf Bahnübergänge, die durch neue Unter- und Überführungen beseitigt werden konnten. 1993 erhielt Mühlheim einen S-Bahnanschluss und Dietesheim einen Haltepunkt. Das verbesserte spürbar die Verbindung zu den umliegenden Städten, Firmen und Einkaufszentren.

Der Mühlheimer Bahnhof steht heute unter Denkmalschutz, weil er so einmalig ist. Die Denkmalpflege genehmigte erst nach langen Verhandlungen für das Gebäude ein neues Outfit. Bleibt nun zu hoffen, dass sich wieder ein Gastronom findet, der in diesem historischen Gebäude ein Café oder Restaurant betreiben will.

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