Foto: Stadt Rödermark

Jahrestag der Pogromnacht der Nazis: Rund 150 Menschen versammelten sich am Gedenkort in der Bahnhofstraße – Bürgermeister Rotter: Das „Nie-wieder“ ist Verpflichtung zur Zivilcourage – Interreligiöses Gebet eines Rabbiners

Sie hießen mit Nachnamen Adler, Hecht, Katz oder Strauß, sie lebten als ganz normale Nachbarn unter ihren christlichen Mitbürgern – bis zur Pogromnacht des Jahres 1938. In der Nacht vom 10. auf den 11. November wurden fast alle Urberacher und Ober-Röder jüdischen Glaubens, die trotz der zunehmenden Repressionen durch die Nazis geblieben waren, zunächst aus ihrem Heimatort vertrieben und einige später in die Vernichtungslager im Osten deportiert, wo keiner überlebte. An sie erinnert seit 2010 der Gedenkort in der Bahnhofstraße 18, dort, wo einst das Wohnhaus der Familie Katz stand und nebendran das der Adlers. Hier, an diesem Gedenkort mit dem gepflasterten Davidsstern und den beiden Stelen mit Namen und Erläuterungen, setzte Rödermark am vergangenen Donnerstag, an dem sich die Pogromnacht, für die die Nazis das schreckliche Wort „Reichskristallnacht“ erfanden, zum 85. Mal jährte, ein deutliches Zeichen der Solidarität mit Israel und gegen Antisemitismus. Rund 150 Menschen, fast dreimal so viele wie durchschnittlich in den vergangenen Jahren, versammelten sich zum Gedenken.

„Wir bekräftigen mit Blick auf den einstigen NS-Terror, dass die Losung ‚Nie wieder‘ keine Worthülse ist, sondern vielmehr Vermächtnis und Auftrag“, betonte Bürgermeister Jörg Rotter. „Es ist gleichsam unsere politisch-moralische Pflicht, dem ‚Nie-wieder‘ tagtäglich durch Zivilcourage im Alltag gerecht zu werden. Genau darum geht es. Darüber wird hier auf diesem Platz gesprochen. Das ist die Aufgabe, der wir uns als Einzelne und als Gemeinschaft zu stellen haben.“

Dieses „Nie-wieder“ gelte es gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse im Nahen Osten zu bekräftigen. „Wir haben die furchtbaren Bilder noch vor Augen. Bilder, die nach dem Hamas-Terror am 7. Oktober dieses Jahres um die Welt gingen. Und wir mussten zur Kenntnis nehmen, dass just dieses Massaker bei diversen Kundgebungen in deutschen Städten bejubelt und beklatscht wurde.“ Rotter zeigte sich „erschüttert und fassungslos, dass sich menschenverachtender Fanatismus in unserem Land auf offener Bühne derart austoben kann“. Das sei „widerwärtig, abstoßend und barbarisch“. Solche Auswüchse erforderten ein hartes Einschreiten der Sicherheitsorgane und eine konsequente Ahndung seitens der Justiz. Wenn Menschen jüdischen Glaubens eingeschüchtert, bedroht und angegriffen würden, wenn Verblendung und Hass auf ihre Symbole, Gebetsstätten und ihre bloße Existenz abzielten, dann müsse deutlich gemacht werden, „dass am Wertekompass der Bundesrepublik nicht zu rütteln ist“.

Alle Namen verlas Stadtverordnetenvorsteher Sven Sulzmann gegen Ende der Gedenkveranstaltung, die Michael Hitzel und Helmut Weckesser musikalisch begleiteten. Und er zitierte aus dem Talmud: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen wird.“ Sulzmann fügte hinzu: „Das wird nicht geschehen.“ Mit einem interreligiösen Gebet, das ein Rabbiner aus Frankfurt eigens für die Gedenkstunde verfasst hatte, endete die Gedenkstunde. Pfarrer Oliver Mattes trug es vor: ein Bekenntnis der Hilflosigkeit, der Ratlosigkeit, des Entsetzens und der Trauer, ein Flehen um das Ende von Hass und Gewalt, ein Kraft-schöpfen aus dem Zusammensein von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion, ein Hoffnung-spüren im gemeinsamen Gebet.

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