Daniela Matha, Stadtrat Martin Wilhelm und Sabine Süßmann beim gemeinsamen Besuch im Hafengarten. Foto: Stadtwerke Offenbach/Monika Müller

Bevor die Metamorphose einer Industriebrache zu einem einladenden Wohngebiet mit Büros, Einkaufs- und Freizeitangeboten sowie Bildungseinrichtungen gelingen kann, braucht es gute Ideen. Die Phantasie von potenziellen Investoren oder Investorinnen muss beflügelt werden, damit sie zwischen alten Baracken, Pfützen und Schotter die Möglichkeiten von Wohnen und Arbeiten mit urbanem Flair erkennen können.

Der Hafengarten war im Jahr 2013 die Idee von Daniela Matha. Sie war als Geschäftsführerin der Mainviertel GmbH unter dem Dach der Stadtwerke mit der Entwicklung des künftigen Wohnviertels betraut. „Wir wollten hier als Zwischennutzung mit den Menschen aus dem Nordend den Gedanken des Urban Gardenings umsetzen. Die erste Fläche dafür war das Gelände der heutigen ,Marina Gardens‘ und rund 10.000 Quadratmeter groß. Wir hatten damals ein Landschaftsarchitekturbüro beauftragt, das Gelände mit Wegen, Gemeinschafts- und Lagerflächen zu planen.“

Sabine Süßmann, Leiterin des Projektes „Besser Leben in Offenbach“ (BliO) erhielt die Aufgabe, gemeinsam mit Interessierten vorübergehend ein Gartenprojekt zu entwickeln. „Es war ein tolles Projekt“, sagt sie rückblickend. „Heute ist der Hafengarten eine Wohlfühloase. Aber als ich die Fläche das erste Mal sah, war das eine Kraterlandschaft mit riesigen Wasserlachen, über der quietschend die rostige Schaufel des blauen Krans im Wind hin und her schwang.“

Nicht nur die Schaufel wurde befestigt, auch die Fläche wurde glattgezogen, Wege wurden angelegt. Große Betonringe, die an anderer Stelle nicht mehr gebraucht wurden, dienten als Pflanzkübel für die ersten Bäume. Die Kinder der Goetheschule bepflanzten die ersten Blumentöpfe für das Areal. Direkt im Boden der ehemaligen Industrieanlage durfte nichts Wurzeln schlagen, eine Folie trennte den neuen Oberboden vom ursprünglichen Erdreich.

„Der offizielle Anfang des temporären Hafengartens war die Eröffnung der Hafentreppe vor zehn Jahren“, erzählt Sabine Süßmann. „Wer mitmachen wollte, bekam an diesem Tag eine rote oder gelbe Bäckerkiste, die bei einer Messe übriggeblieben waren, und einen Sack Erde geschenkt. Außerdem verteilten wir Gemüsesetzlinge.“ Damit wurden die ersten Anwohnerinnen und Anwohner aus dem Nordend auf das Areal gelockt.

Am Anfang verloren sich die Kisten auf dem riesigen Gelände, doch das kostenlose Angebot sprach sich schnell herum. Körbe, Milchtüten, Reissäcke, Joghurteimer, Stiefel und Kinderbadewannen wurden mit Erde und Saatgut befüllt und liebevoll gegossen. Knapp 100 Parteien säten, harkten, zupften, ernteten hier in Hochzeiten nebeneinander und immer mehr auch miteinander. Manche kümmerten sich nur um eine Kiste und kamen vor allem wegen der Gemeinschaft. Setzlinge wurden ebenso ausgetauscht wie Tipps und Tricks, Laien wurden von erfahrenen Gärtnerinnen und Gärtnern angelernt. Vor der Sonne und dem Saatgut waren hier alle gleich. So fand neben dem gemeinsamen Gärtnern auch ein interkultureller Austausch statt.

Familien pflanzten mit ihren Kindern Blumen und Gemüse, Menschen mit Migrationshintergrund zogen Kräuter und Gemüse aus ihrer Heimat, die sie nicht im Supermarkt bekamen. „Hier habe ich zum ersten Mal Bittergurken gesehen, die von einer Familie aus Bangladesch gepflanzt wurden, und ich habe das erste Mal sehr leckeren Wasserspinat probiert“, sagt Sabine Süßmann. Das Gelände war immer offen für Besucherinnen und Besucher. Wer kommen wollte, durfte schauen und schnuppern.

Auch Stadtkämmerer und zuständige Dezernent Martin Wilhelm erinnert sich an die Anfänge des Urban Gardening-Projekts: „Schnell hat der Hafengarten das Erscheinungsbild verändert und gezeigt, wie nachhaltiges Gestalten eines Viertels durch engagiertes Miteinander gelingen kann. Während die Bauarbeiten ihre Zeit gebraucht haben, um Offenbachs neuen Stadtteil zu entwickeln, haben die Nachbarinnen und Nachbarn angepackt und das Gebiet zwischen Nordend und Hafeninsel in kurzer Zeit bunt und lebenswert gestaltet.“ Der Hafengarten habe sich extrem schnell etabliert und sei nicht nur förderlich für das Viertel gewesen, sondern auch ein gelungenes Beispiel für Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern in einer Großstadt.

Das kostenlose, grüne, demokratische und außergewöhnliche Projekt erregte weit über die Stadtgrenzen hinaus Aufmerksamkeit: „Zuerst wurde ich überall in der Stadt auf den Hafengarten angesprochen“, erinnert sich Sabine Süßmann, „und dann kamen immer mehr Medienanfragen.“ Redakteure und Redakteurinnen interviewten und fotografierten, Radiostationen schickten Leute vorbei und Fernsehsender kamen mit Teams zum Dreh. Inmitten der fortschreitenden Bauarbeiten ringsum war der Hafengarten eine eigene Welt mit kreativem und ungeordnetem Charme.

Dass der Hafengarten nur auf Zeit angelegt war, rückte bei der Gärtnergemeinschaft und auch in der öffentlichen Wahrnehmung immer mehr in den Hintergrund. „Einen Plan, wie lange die Fläche bestehen sollte, gab es nicht – das hing auch immer vom Fortschreiten der Bauarbeiten ab“, sagt Sabine Süßmann, die engagiert von der Projektkoordinatorin Alexandra Walker unterstützt wird.

Und als Marina Gardens errichtet und aus dem Gemeinschaftsgarten wieder ein Baugrundstück werden sollte, mochte niemand die unkonventionelle Idee des Urban Gardenings endgültig begraben. Ein neues Areal wurde ausgewiesen, wieder zur Zwischennutzung. „Im Winter 2015/2016 zog der Hafengarten auf den neuen Standort um. Der hatte mit rund 3000 Quadratmetern nur noch ein Drittel der ursprünglichen Fläche. Aber alle sind zusammengerückt und jeder konnte mitziehen.“

Eine zwischenzeitliche Warteliste, auch mit Bewohnerinnen und Bewohnern der Hafeninsel, ist inzwischen abgebaut, wegen der Fluktuation werden immer mal wieder neue Plätze frei. Wer mitmacht, erhält einen Vertrag und muss sich an einige wenige Regeln halten. Die Anlage bleibt tagsüber geöffnet, das ist Teil des Konzeptes. Zwar werden immer mal wieder Blumen und Gemüse geklaut, dafür ist das Gärtnern gratis. Viele Besucherinnen und Besucher, darunter auch viele der Angestellten aus den Büros im Hafenquartier, setzen sich hier auf die Bänke und nutzen den Bücherschrank für eine Auszeit in Offenbachs außergewöhnlichster Grünanlage.

Wie es mit der grünen Zwischennutzung weitergeht, steht noch nicht fest: Aktuell ist der Hafengarten auf dem Areal des künftigen Gutscheparks. Der wird erst in den nächsten Jahren geplant. Ob und in welcher Form hier weiter gemeinschaftliches Gärtnern erhalten bleibt, wird derzeit noch nicht diskutiert.

Stadt Offenbach

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