Der Handel ist im Wandel. Vielerorts hat das Internet Geschäfte ersetzt, da wo früher Schaufensterpuppen die neuesten Modetrends präsentierten Schuhe oder Elektrogeräte ausgestellt waren, zeugen immer mehr leere Scheiben vom veränderten Einkaufsverhalten der Deutschen. „Das ist kein spezifisch Offenbacher Phänomen“, sagt Oberbürgermeister Dr. Felix Schwenke. „Seit 2015 mussten laut Zählungen des Handelsverbands Deutschland (HDE) 53.000 Läden in Deutschland schließen, der Trend setzt sich auch in diesem Jahr fort. Auch wir haben den Verlust einiger inhabergeführter Geschäfte zu beklagen und damit es nicht mehr werden, haben wir uns schon 2020 auf den Weg gemacht und gemeinsam mit der Bürgerschaft und den Planern des Hamburger Büros urbanista 14 Zukunftsprojekte zur Belebung der Innenstadt entwickelt.“ Sieben davon befinden sich in Umsetzung oder Planung. Etwa zu Projekten wie der „Station Mitte“ soll in absehbarer Zeit eine endgültige Entscheidung getroffen werden. Schon gestartet ist das Festeprogramm, das bereits im vergangenen Jahr mit dem Beachclub und dem Internationalen Straßentheaterfestival erfolgreich war und auch dieses Jahr weitergeht: So kommen am Samstag, 1. Juli, wieder Gaukler und Jongleure zum Internationalen Straßentheaterfestival in und zeugen die Palmen bereits von der Eröffnung des Beachclubs am 6. Juli. Ein weiteres Projekt sind Zwischennutzungen in Form von anspruchsvollen künstlerischen Interventionen, wie das UND am Stadthof und das Diamant – Museum of Urban Culture in der Frankfurter Straße. Beide Interimsbespielungen finden in enger Kooperation mit der Hochschule für Gestaltung HfG statt, federführend für die Konzeption und Umsetzung ist Prof. Heiner Blum, der schon andere wegweisende studentische Projekte in der Stadt realisiert hat.
Ebenfalls aus dem studentischen Umfeld heraus entwickelt wurde die Idee des radraums, der seit Ende letzten Jahres den Dreiklang im Rathaus-Pavillon, dem dritten Pilotprojekt des Zukunftskonzepts Innenstadt, mitorchestriert.
radraum, jugendraum, stadtraum und ein Kollektiv
„Mit dem Auszug des Polizeiladens im Frühjahr 2022 begann die Ideensuche für die drei Räume im Rathaus-Pavillon“, berichtet Anna-Maria Rose. Sie leitet die bei der Wirtschaftsförderung angesiedelte Agentur Mitte und hat in unterschiedlichen Beteiligungsformaten die Stadtgesellschaft von Anfang an eingebunden. Oft genannt worden seien „soziokulturell, kreativ, offen und ohne Verzehrzwang“, berichtet sie und freut sich, die Wünsche weitestgehend umgesetzt zu haben. Denn neben dem radraum, in dem Fahrradfahren ganzheitlich gedacht wird, gibt es mit dem jugendraum einen Treffpunkt für die jungen Offenbacher und Offenbacherinnen und deren Vertretung, das Kinder- und Jugendparlament. Das feiert am Sonntag, 2. Juli, übrigens seinen 25. Geburtstag, natürlich mit einem großen Fest im und am Rathaus-Pavillon. Muhammed Hüseyin Simsek, langjähriges Mitglied des KJP koordiniert ehrenamtlich den jugendraum und sagt: „Jugendliche brauchen freie Räume und Treffpunkte. Jetzt gibt es endlich einen jugendraum für Events, Workshops, Filmabende und eben der Möglichkeit, dass Offenbacher Jugendliche und junge Erwachsene den Raum selbst mietfrei buchen und bespielen können. Ich hoffe sehr, dass sich die Zwischennutzung bis Ende des Jahres anschließend verstetigt.“
Herzstück des 1972 gebauten Gebäudes ist der stadtraum. „Der 90 Quadratmeter große Raum steht Bürgerinnen und Bürgern für die Umsetzung ihrer Ideen kostenfrei zur Verfügung. Von der Ausstellung über Abendveranstaltungen bis zu einem Kinderflohmarkt ist alles denkbar. Wichtig ist, dass die Veranstaltungen öffentlich und niedrigschwellig zugänglich sind, indem beispielsweise wenn möglich auf Eintrittsgelder verzichtet wird“, so OB Schwenke. Für die Bewerbung der jeweiligen Veranstaltungen nimmt Projektleiterin Rose die Macherinnen und Macher in die Pflicht, „natürlich unterstützen wir aber gerne.“ „Wir“ meint in diesem Fall die Agentur Mitte mit Anna-Maria Rose. Außerdem fließen die Inhalte in die unterschiedlichen Medien-Kanäle der Stadt. „Der Rathaus-Pavillon soll als offener Ort in einer offenen Stadt für alle etabliert werden. Daher ist es unser erklärtes Ziel, so viele Menschen und Multiplikatoren wie möglich auf unterschiedlichen Wegen zu erreichen und viele unterschiedliche Nutzungen zu ermöglichen“, betont OB Schwenke, was nun vorerst den Kern der Nutzung des Rathaus-Pavillons darstellen wird. Solche Möglichkeiten, erinnert der OB, seien lange Zeit immer wieder gefordert worden. So wie die IntegrationslotsInnen des Freiwilligenzentrums Offenbach e.V., die den Raum seit Kurzem zweimal in der Woche als SprachTreff nutzen.
Bereits fest in den stadtraum eingezogen ist das Kollektiv, das sind Fabian Bierwolf, Max Seipel und Oliver Hundemer, die mit Stadt Liebe Studio die Grace Studiobar im Offenbacher Nordend betreiben. „Für uns sind der Raum und das Konzept spannend“, erklärt Bierwolf. „Uns gefällt die Idee des offenen Raums, der gemeinschaftlich genutzt werden kann. Und dass wir damit nicht nur gastronomische, sondern auch kulturelle Akzente setzen können.“ Deshalb lädt das Kollektiv ab sofort jeden Samstag nach Ende des Wochenmarkts ab 14 Uhr zum “After Market” ein. „Ob es gelingt, werden wir sehen – es ist auf jeden Fall ein spannender Versuch, Wochenmarkt und Innenstadt miteinander zu verbinden“, freut sich Oberbürgermeister Schwenke über die Initiative. Mit wechselnden DJs und entspannter Atmosphäre bietet die neue Location eine perfekte Gelegenheit, das Wochenende gebührend einzuläuten. Außerdem gibt es seit Mitte Juni an jedem zweiten Sonntag von 10 bis 12 Uhr eine inspirierende Yoga-Session mit Sundaze Zen. Das Kollektiv bietet verschiedene Kaffeespezialitäten, wechselnde Kuchen und seit kurzem auch Sandwiches und Salate an.
„Alles ist in Bewegung. Die Stadt Offenbach transformiert sich und ich freue mich, dass wir Teil des Prozesses sind“, sagt Prof. Peter Eckart (HfG) vom Lehrgebiet Integrierendes Design und Forschungsinstitut „Offenbach Institut für Mobilitätsdesign (OIMD)“, „schließlich ist Stadtentwicklung auch eine Frage von Gestaltung und wir beschäftigen uns intensiv mit der Gestaltung der Mobilitätsysteme von morgen. Das OIMD bündelt seit Januar 2023 den Forschungs- und Lehrschwerpunkt Mobilität der Professuren für Integrierendes Design und Urban Design. Dort entwickeln unsere Designerinnen und Designer Methoden und Entwürfe für eine menschbezogene und nachhaltige Mobilitätsgestaltung, in Forschungs- und Anwendungsprojekten ebenso wie in der akademischen Lehre. Den radraum betreiben wir seit Anfang Mai als Zweigstelle.“
Daniel Rese, wissenschaftlicher Mitarbeiter am OIMD und in der Lehre an der HfG im Lehrgebiet Integrierendes Design tätig, hat das Konzept „radraum“ federführend für ein im vergangenen Wintersemesterprojekt Projektseminar konzipiert und ins Leben gerufen.
„Der radraum dient seit Mai allen Bürgerinnen und Bürger als Vermittlungsplattform rund um das Thema Fahrrad. Wir bieten dort neben den Produkten und Systemen, die wir am Institut erarbeiten, ein niedrigschwelliges Angebot für alle, um in die Welt des Radfahrens eintauchen zu können. In verschiedenen Formaten und an unterschiedlichen Stellen wollen wir zur Vermittlung und Aufklärung über eines der wahrscheinlich bedeutsamsten nachhaltigen Individualverkehrsmittel der Zukunft aufklären. Hinzu kommt, dass das Thema mit der Positionierung im politischen Zentrum Offenbachs seine Strahlkraft auch in die Politik wirken kann.“
Mehr Ausstattung und mehr Programm
Für die kommenden Monate haben Anna-Maria Rose und ihr Team noch viel vor. Neben einem deutlichen Mehr an Veranstaltungen und Anlässen, auf den Stadthof zu kommen, plant sie die Anschaffung von Mobiliar, das für zukünftige Pop-Ups und Interventionen genutzt werden kann. Neben Stühlen und Tischen sollen Technik, aber auch familien- und kinderfreundlichen Equipment gekauft werden. „Der Rathaus-Pavillon ist schließlich ein Raum für alle“, sagt Rose. „Möglich ist dies unter anderem dank der Förderung des Landes“, betont OB Schwenke. „Das Land fördert die Zwischennutzungen mit rund 37.000 EUR und die Anschaffung der Pop-Up-Ausstattung mit rund 75.000 EUR. Auch der Verein Offenbach Offensiv e.V. unterstützt finanziell. Damit können die wichtigen Impulse zur langfristigen Belebung der Innenstadt gesetzt werden, die es braucht, damit unsere Stadt wieder zukunftsfähig ist.“