Formation beim Rödermark-Gastspiel mit guter Balance – Große Bandbreite: Oper, Musical, Pop… Und ein Hauch von Chippendales
Zwölf professionelle Tenöre, zwölf Mikrofone, zwölf Crescendo-Verlockungen… Da ist Orkanstärke angesagt in der Kulturhalle. Es besteht die Gefahr, dass der Saal sturmreif gesungen und von einer riesigen Klangwelle überrollt wird. Doch siehe da: Beim Auftritt der Formation „The 12 Tenors“, dem Finale 2022 in Rödermarks „gut Stubb“, bleibt der vokale Wind stets gut gedrosselt.
Gewiss: Es gibt scharfe Böen, wenn klassisches Opern-Repertoire wie beispielsweise „Nessun dorma“ aufgerufen wird. Es herrscht auch kein Mangel an aufbrausenden Passagen bei Ohrwürmern aus der Musical-, Pop- und Schlagerwelt. Manchmal geben die Herren der besagten Verlockung nach, produzieren Volumen aus Bauch und Brust, lassen die Stimmbänder flattern. Wie ein Tritt aufs vokale Gaspedal wirkt das mühelose Anschwellen in solchen Momenten, doch unterm Strich bleibt festzuhalten: Alles ist harmonisch ausbalanciert.
Der Versuchung, die Potenziale über Gebühr auszureizen, wird erfolgreich getrotzt. Der Star ist das fein justierte Kollektiv, das in der Manier einer Boygroup de luxe den jeweiligen Solisten im Rampenlicht stimmlich umschmeichelt, abfedert und abholt. So fliegt der Staffelstab von Tenor zu Tenor, so wird in großer Reihe gesungen, untermalt mit teilweise grellen Lichteffekten und sicher beherrschten Choreografien, die die Puzzleteile miteinander verweben. Man merkt: Hier sind Profis in Sachen „Unterhaltung“ am Werk, auf der Bühne und an den Reglern am Mischpult.
Wenn das international besetzte Sänger-Dutzend auf seinen ausgedehnten Deutschland-Tourneen in der Stadt an der Rodauquelle Station macht, ist eine treue Fangemeinschaft aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet mit von der Partie. Nach der Corona-Zwangspause war es nun also endlich so weit: Das Wiedersehen mit der großen Sängerschar und ihrer kleinen, dreiköpfigen Begleitband (Keyboards und Schlagzeug) konnte in der mit rund 670 Besuchern vollbesetzten Kulturhalle zwei Stunden lang intensiv zelebriert werden.
Gewohnt atemberaubend auch diesmal: Die Spannweite des Programms und das ungenierte Springen von Genre zu Genre. Auf Udo Jürgens‘ „Aber bitte mit Sahne“ folgt wenig später ein Beatles-Medley. Leonard Cohens „Hallelujah“ darf nicht fehlen, „Don’t cry for me, Argentina“ ebenso wenig wie der weltberühmte „Sound of Silence“ von Simon & Garfunkel. Vergleichsweise klein ist der Anteil an Arien. U- dominiert E-Musik ganz eindeutig.
Es gibt Musikfreunde und Kulturkritiker, die über solche Crossover-Revuen die Nase rümpfen, frei nach dem Motto „Ein wilder Ritt durch den Gemischtwarenladen des Mainstream“. Indes: Andere Menschen haben großen Spaß an eben jenen Brücken, die Ensembles wie „The 12 Tenors“ schlagen. Und in der Tat: Es gibt schöne Entdeckungen, insbesondere zu vorgerückter Stunde, als mit viel Inbrunst „Angels“ angestimmt wird. Da wird deutlich, dass Robbie Williams in Sachen „Stimme und Ausdruckskraft“ nicht das Ende der Fahnenstange für sich reklamieren kann.
Apropos Ende: „Time to say Goodbye“ setzt den Schlusspunkt, doch das Auditorium ahnt, dass es eine abermalige Begegnung geben wird mit den Gentlemen, die kurz zuvor im Zugabe-Teil locker-flockig mit ihren Hemdknöpfen hantiert haben. Ein Hauch von Chippendales umweht den Ausklang – und eine gute Nachricht gibt’s obendrein für alle, denen der Abend gefallen hat: Für ein weiteres Rödermark-Gastspiel zur Fortschreibung der Tradition ist die Gruppe bereits angefragt worden.
Zum Vormerken: Der Reigen mit der Kennziffer 2023 wird in der Kulturhalle mit dem obligatorischen Neujahrskonzert eröffnet. Am Sonntag, 8. Januar, musiziert das Johann-Strauß-Orchester Budapest ab 11 Uhr. Eine Woche später, am 15. Januar ab 17 Uhr, folgt „Schwanensee“ mit dem Ukrainian Classical Ballet. Eintrittskarten sind nach einer kurzen Pause „zwischen den Jahren“ wieder ab 2. Januar 2023 im Kulturbüro der Stadt, Telefon 06074 911655, erhältlich. Weitere Informationen im Internet: kulturhalle-roedermark.de.